Das Wesen von Veränderungen, Teil 2

Wie wir zu einem besseren Umgang mit Veränderungen kommen

Nachdem es in Teil 1 der Serie (s. u. auf dieser Site) um die Frage ging, warum wir auf Veränderungen so reagieren wie wir es üblicherweise tun, möchte ich Ihnen in Teil 2 Impulse zur Beantwortung der Frage geben, was es braucht, um mit Veränderungen gut umzugehen.

Also, was bedarf es dafür? Nun, vor allem die Offenheit, aus bestehenden Denkstrukturen auszubrechen und damit auch gedanklich offen für Neues zu sein.

Hierzu ein kleines Beispiel. Wenn Sie Lust haben, machen Sie mit. Überfliegen Sie (bitte wirklich nur überfliegen) den folgenden Satz:

+++
Die Taube

auf dem
den Dach
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Was haben Sie gelesen?

Wenn Sie den Satz wirklich nur überflogen haben, werden Sie folgendes gelesen haben: „Die Taube auf dem Dach“.

Tatsächlich steht da aber etwas anderes: Es stehen dort zunächst drei Pluszeichen. Es folgt „Die Taube auf dem den Dach“. Und dann kommen wieder drei Pluszeichen.

Das Beispiel zeigt, dass wir nur einen Teil unserer Umwelt bewusst wahrnehmen und zwar den, den wir aufgrund unserer Denkstruktur bereits kennen. Wir müssen uns anstrengen und damit zusätzliche Energie aufwenden, wenn wir mehr als „das Übliche“ sehen wollen. Der Mensch ist aber so angelegt, dass er möglichst energieschonend agiert. Das bedeutet, dass wir uns bewusst „aufraffen“ müssen, um mehr zu sehen als das, was wir eh schon kennen.

Was bedeutet das im Hinblick auf Veränderungen? Wenn sich Rahmenbedingungen ändern und alte Erfolgsrezepte an ihre Grenzen stoßen, bedarf es einer zusätzlichen Kraftanstrengung, um neue Lösungsansätze zu entdecken. In diesem Beispiel mit der Taube auf dem Dach ist es noch recht einfach:

Wenn wir – bildhaft gesprochen – für ein erfolgreiches Meistern der veränderten Situation beispielsweise mehr Pluszeichen benötigen, sind diese bereits vorhanden. Wir müssen sie nur sehen. Systemisch ausgedrückt: Unser bestehendes System stellt die Ressourcen schon bereit. Wir müssen sie „nur“ erkennen und anzapfen.

Dieses noch theoretische Beispiel erleben Sie in der Praxis am laufenden Band: Angefangen mit dem Autoschlüssel-Beispiel aus Teil 1 (s. u.), bei dem die Pluszeichen beispielsweise für das Fahrrad stehen. Weiter geht es etwa am Arbeitsplatz, wo z.B. die Bürofläche zu knapp wird: Dann kann das Wörtchen „den“ vielleicht der leerstehende Konferenzraum von gegenüber sein. Und so können Sie die Liste unendlich weiterführen. Das Muster lautet immer wieder: Die Ressourcen zur Lösung des Problems sind schon vorhanden. Man muss sie nur sehen.

Es gibt aber noch eine zweite, komplexere Variante, die sich im Umgang mit Veränderungen stellt. Auch hierzu eine kleine Demonstration, die Ihnen die Mechanik verdeutlicht:

Nehmen Sie sich ein Blatt Papier und malen Sie darauf 9 Punkte im 3 x 3 Schema (3 Punkte in einer Reihe und das 3x untereinander). Schaffen Sie es, die Punkte innerhalb von 20 Sekunden wie beim „Haus vom Nikolaus“ ohne Absetzen mit vier Linien zu verbinden? Versuchen Sie es!

Und, hat’s geklappt? Wenn nicht, grämen Sie sich nicht, denn das geht überhaupt nicht! Die Aufgabe ist nur mit einer „Systemveränderung“ lösbar: Die Punkte kann man nur dann in der geforderten Variante verbinden, wenn man den Bezugsrahmen vergrößert. Das geht so, in dem man das Schema um 2 Punkte erweitert: ein zusätzlicher Punkt kommt unter die ganz linke “Spalte” der 3 Punkte. Ein zweiter Punkt kommt rechts neben die oberste Zeile der 3 Punkte. Dann lassen sich die Punkte ohne Absetzen mit 4 Linien verbinden.

Hier zeigt sich folgendes: Manch veränderte Rahmenbedingungen führen dazu, dass sich die Herausforderungen nicht mit bestehenden Ressourcen lösen lassen! Dann muss das System als solches verändert werden. In diesem Beispiel benötigt man zusätzliche Ressourcen, um das Problem zu lösen.

Auch das erleben wir in der Realität häufig: Die zusätzlichen zwei Punkte stehen zum Beispiel für die externen Berater, die in ein Unternehmen kommen. Oder es sind neue innovative Produkte, die das Unternehmen auf den Markt bringt. Das sehen wir in Form von E-Autos gerade in der Automobilindustrie. Oder, oder, oder.

Bei anstehenden Veränderungen gibt es also grundsätzlich 2 Lösungsmöglichkeiten: Entweder liegt die Lösung der Herausforderungen im bestehenden System und wir müssen die dafür notwendige Ressource „nur“ erkennen. Oder die Herausforderung lässt sich mit den bestehenden Ressourcen nicht bestehen, so dass wir das System als solches verändern müssen. Das kann wie in diesem Beispiel eine Erweiterung sein, es kann aber auch eine Verkleinerung sein, wie wir es in Unternehmen im Zuge von Arbeitsplatzabbau durch Restrukturierungen erleben.

Einfach so weitermachen wie bisher ist bei Veränderungen übrigens selten eine gute Lösung. In der Regel verschiebt diese Strategie die Problemlösung unter dann schärferen Bedingungen nur in die Zukunft. Aufgehoben wird sie dadurch nicht.

Für alle geschilderten Fälle gilt: Das Festhalten an „alten Dingen“ hindert uns an einem klaren Blick für die eigentlichen Notwendigkeiten. Die gedankliche Öffnung ist es, die uns bei sich ändernden Rahmenbedingungen nach vorne bringt.

In nächsten Teil der Serie geht es um die Frage, welche Bedeutung Sinnempfinden bei Veränderungen hat. So viel sei verraten: es wird hochinteressant.

Teil 3 veröffentliche ich wieder an dieser Stelle. Bis dahin wünsche ich Ihnen viel Freude mit den gewonnenen Erkenntnissen und vielleicht auch mit der einen oder anderen Umsetzung im Alltag. Halten Sie die Augen und Ohren für die Chancen durch Veränderungen offen!